Das Making Of



In Vorbereitung zu diesem Video wurde eine Menge Bücher und Schriften von Hermann Nitsch studiert, um seine Philosophie zu verstehen. Daraus entstanden 20 Seiten Konzentrat originaler „Nitschsätze“, die dann narrativ komponiert wurden.
Dabei sollte kein Satz verändert werden, um den Geist des Autors unmittelbar weiterzutragen. Jeder der gesammelten Sätze kämpfte ums Überleben, und schmerzlich war die Prozedur der Streichung auf schließlich 2 Seiten Text. Bei manchem zu streichenden Satz hatten wir das Gefühl der Opferung - aber sie geschah im Bewusstsein der konsistenten Gesamtheit, und diese kristallisierte sich in wochenlangen Streitgesprächen immer klarer zum nun vorliegenden Text heraus.

Dann suchten wir in den unzähligen Nitsch-Videos nach jenem, das diese Komprimierung am besten zu transportieren imstande war. Enttäuscht mussten wir feststellen, dass wir keine Aufnahme fanden, die die Essenz Nitschs so herausarbeitete, dass es unserem ästhetischen Verständnis entsprach.
So wurde über mehreren Wochen Versuche unternommen, diese Nitschwucht einzufangen. Letztendlich entschlossen wir uns jedoch zu einer ähnlichen filmischen Konzentration, wie wir sie bei den Texten angewandt haben:

Während der 5-tägigen 56. Malaktion in Mistelbach wurden rund 16.000 Einzelbilder aus 7 Meter Höhe aufgenommen und davon in wochenlanger Arbeit rund 1500 Bilder aussortiert, die das Wesen der Aktion am besten einfingen. Danach wurde über mehrere Monate jedes einzelne Bild elektronisch ausgeschnitten, von Ablenkendem, Überflüssigem und Unnotwendigem befreit. Und da bei einer so stark besuchten Aktion immer wieder Störungen durch Blitze oder von durchs Bild laufenden Besuchern auftraten, musste ein Großteil aus mehreren Einzelbildern collagiert werden.
Was wir jedoch bewusst so belassen haben, ist das Atmen der Bilder, das man über die Zeit wahrnimmt. Es entstand durch die Sonne, die über die Oberlichter einflutete und immer wieder durch die Wolken moduliert wurde, und die Bewegungen des Kameramannes in luftigen 7 Meter Höhe, die sich trotz massiven Verbindungen mit dem filigranen Gerüst bei 8 Stunden Aufnahmedauer doch immer wieder als Rucker abzeichneten.

Wir suchten auch nach den entsprechenden Stimmen. Diese wurden von Nitsch selbst ohne langes Nachdenken im ersten Atemzug vorgeschlagen, was für eine besondere Verbindung spricht. Wenn man die Stimmen von Maria Graff und Giuseppe Zevola hört, spürt man eine direkte Verbundenheit, welche die besondere Freundschaft dieser drei Menschen trägt.

Am Ende haben wir das ganze Werk mit Musik unterlegt, wobei wir -kurz vor dem Abschluss der Arbeit- die zuerst gewählte 9. Sinfonie Beethovens wieder verwarfen. Sie war gut, aber Beethoven wusste eben nichts von Nitsch, und so verlor sich der Dialog zwischen Musik und Bild immer wieder. Ein Satz von Nitsch -„ich fand für meine Arbeit keine Entsprechung in der vorhandenen Musik, weshalb ich sie selbst schaffen musste“- bildete dann auch unsere Entscheidungbasis für die Wahl, Musik aus seinen Kompositionen zu entnehmen.
„Die Ägyptische“, zur selben Zeit der 56. Malaktion uraufgeführt, vertont die Bilder in genau der Weise, wie wir es uns ausgemalt hatten. Und der lange und sehr tiefgehende Dialog mit dem Dirigenten Peter Jan Marthé klärte weiter unsere Auswahl und führte zur Komprimierung der mehrstündigen Sinfonie auf das 20 Minuten dauernde Video.

Die Musik lässt zusammen mit den Texten der Sprecher die ablaufenden Bilder richtig leben, und Text, Sprecher, Bilder und Musik scheinen sich gegenseitig zu inspirieren.
Der Text des Videos ist in deutsch und italienisch zu hören, teils abwechselnd, teils gleichzeitig. Dieser Wechsel spiegelt wie Nitschs Werk (Musik, Malaktion, OMT) die Bipolarität im Menschen wieder. Auch in der Musik durchbricht die banale Melodie immer wieder dialoghaft die Urklangmagie lang atmender Töne, die für sich selbst Wesen sind.

Oberflächlich gehört und betrachtet ist jeder sprachliche und musikalische Einzelteil sinnvoll und spiegelt nur zwei Seiten eines Gesamten wider. Dem aufmerksamen Kenner wird jedoch auffallen, dass „etwas fehlt“, er muss sich zum Weiterdenken überwinden. Und erst da beginnt das Werk zu kommunizieren, leben ...
Denn so wie uns Marthé zum Dialog mit einer Aussage aus dem Film Matrix, „ENTWEDER DU STEIGST EIN ODER DU STEIGST AUS“ empfängt, wollen auch wir dem Betrachter diese Entscheidung nicht durch sich aufdrängende Einfachheit vorwegnehmen!
Es wurde -für uns- ein akustisches und visuelles Erlebnis, das unsere Arbeit letztendlich belohnte, und die große Anstrengung, Erschöpfung, Verzweiflung und Zorn vergessen ließ.

Wir dürfen mit voller Überzeugung sagen, dass wir mit dieser Arbeit wie selten zuvor mitgewachsen sind. Es war aber abschnittsweise auch ein Abenteuer, das uns hinwegzuspülen drohte. Gute 1500 Stunden Arbeit sind nicht nur eine immense Herausforderung ans Durchhalten, sondern prägen auch enorm. Dafür sind wir dankbar, denn was wir gefunden haben, entschädigt uns in überreichem Maße für das, was wir gegeben haben!