Künstler, nicht Betrachter, machen Kunst!


Der wohl größte Schock der Moderne war, dass sich die Kunst selbständig machte. Sie beugte sich nicht mehr der Deutungshoheit der Betrachter oder den Vorstellungen möglicher Käufer. Betrachter wie Käufer haben den Status eines Bezugspunktes verloren. Kunst erbettelt sich nicht mehr unterwürfig Applaus oder biedert sich schnödem Mammon an. Diese Entmachtung stellt immer noch einen tief sitzenden Stachel im Fleisch des einfachen Publikums dar und wird als DIE Demütigung schlechthin wahrgenommen.

Die Entmachteten versuchen nun zu kontern, indem sie den Werken das Kunstsein einfach absprechen. Solange dies auf eine Weise geschieht, die diese Meinung eindeutig als eine persönliche und subjektive kennzeichnet - à lâ „FÜR MICH ist das keine Kunst“ - ist dies legitim, denn es sagt nur etwas über das Weltbild des Sprechers und vorerst nichts über das vermeintlich beurteilte Werk aus. Wenn dieser Standpunkt dann durch eine nachvollziehbare und schlüssige Argumentation zur Fläche ausgeweitet wird, entsteht ein potentiell befruchtender Dialog über die Kunst, den sie ja auch benötigt, um nicht autistisch zu werden.

Zur Lächerlichkeit verkommt eine Beurteilung jedoch, wenn sie in größenwahnsinniger Manier mit „DAS ist kein Kunstwerk“ zum Dogma erhoben und als scheinbar allgemein anerkannte Gegebenheit dargestellt wird. Wenn man schon in willkürlicher Manier ein solches Postulat tätigt, sollte man auch das Rückgrat besitzen, dazu mit eigenem Namen zu stehen und nicht vortäuschen wollen, dass dies eine unumstößliche Meinung der vermeintlichen Allgemeinheit sei.
Ein solches ex cathedra-Verhalten ist in einer aufgeklärten Welt nicht nur a priori unredlich, sondern darüber hinaus auch eine alle anderen Betrachter entmündigende Überheblichkeit und muss deswegen aufs Deutlichste zurückgewiesen werden.


Ad Reinhardt: Kunst ist Kunst an sich, und alles andere ist alles andere. Kunst an sich ist nichts als Kunst. Kunst ist nicht, was nicht Kunst ist.

Prinzipiell sollte man sich einmal überlegen, woher denn das persönliche Schönheitsempfinden überhaupt kommt, denn die meisten Menschen können nicht einmal Kriterien für ihr „Gefallen“ nennen. Das legt den Schluss nahe, dass der Schönheitssinn unbewusst in den Jugendjahren geprägt und danach nur noch durch die stetig einprasselnde Werbeästhetik moduliert wurde. Was daran ist nun wirklich eine eigene Empfindung? Und mit welchem Recht stellt man seine Ästhetik, die ja nur durch den Zufall des Geburtsortes bestimmt wird, über die der anderen?

Man sollte erkennen lernen, dass das „Gefallen“ nicht im Werk, sondern nur im subjektiven Auge des Betrachters liegt. Anhand dieser Erkenntnis wird jeder vernünftig denkende Mensch die Herabwürdigung anderer Ansichten unterlassen, denn mit demselben Recht, mit dem man die eigene Sichtweise als eine zu akzeptierende ableitet, ist auch jede andere, möglicherweise gegenteilige, anzuerkennen.

Auch die Geschichte zeigt, dass viele jener Meisterwerke, von denen heute die Kriterien zur Unterscheidung von Kunst und NICHTKunst abgeleitet werden, bei ihrer Entstehung als NICHTKunst gesehen wurden.
Heute ist doch der Künstler - so wie auch der Betrachtermarkt derart groß und vielschichtig, dass sich jene, die sich gegenseitig suchen, mit etwas Einsatz auch finden können - ohne dabei Fremdartiges herabwürdigen zu müssen. Im Gegenteil. Jene, die nicht nur laufend ihre subjektive Weltsicht durch selbstzensierendes Selektion bestätigen wollen, haben die Möglichkeit, über ihren Tellerrand hinauszublicken und Neues, Anderes verstehen zu lernen. Ob dieses Andere dann zu einem bereichernden Sehempfinden führt oder einfach bestätigt, im Gewohnten schon das für sich Richtige gefunden zu haben, ist nebensächlich, denn beides führt zur Kultivierung der Wahrnehmung und zu einer qualitativeren Betrachtung und verhindert so den Autismus des Betrachters.

Es gibt emotionale Werke und intellektuelle, gegenständlich oder abstrakt dargestellt. Keines für sich macht die Kunst aus, die Gesamtheit entsteht erst durch die Summe dieser Werke.
Was der eine in emotionalen Werken findet, entdeckt der andere in intellektuellen, und wo den einen das Abstrakte zur Kontemplation führt, kann dem anderen die gegenständliche Darstellung dazu verhelfen. Unterschiedliche Quellen, aber allen bereiten sie denselben Hochgenuss. Da bedarf es nicht des gegenseitigen Absprechens des Besonderen, sondern nur der ehrlichen Teilnahme, dass auch der andere etwas gefunden hat, das ihn gleichermaßen erfreut und man somit diese Freude auch nachvollziehen kann. Liegt nicht genau darin auch der Ausdruck des Individuellen? Macht das Anders-Sein nicht erst jenen kleinen Unterschied aus, der uns zum Individuum krönt? Und ist es sinnvoll, genau diesen Unterschied zu bekämpfen anstatt zu pflegen, ja sogar zu kultivieren? Ist denn nicht eines unserer höchsten Güter die Individualität, die uns selbst dann über den Weg der Kultivierung zu etwas Besonderem macht? Zum MenschSEIN?

Demnach machen Künstler die Kunst, Betrachter und Käufer attribuieren diese anschließend mit Zusätzen wie gefallen-missfallen, unbekannt - berühmt, bzw. verstanden-unverstanden und billig - teuer.